Ein Algorithmus, bei dem man immer mitmuss
Fachtag zeigt, wie Medienkompetenz gegen Radikalisierung helfen könnte
Wie erkenne ich, dass sich ein Schüler rechtsextrem radikalisiert? Was tue ich als Lehrkraft, wenn sich eine Schülerin plötzlich verschleiert? Und wo gibt es Hilfe, wenn junge Menschen sie für den Ausstieg brauchen? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigte sich der Fachtag mit dem Titel „Radikalisierung von jungen Menschen“, der am 13. November 2025 im Kulturzentrum Mittendrin in Walsrode stattfand.
Landrat Jens Grote begrüßte die mehr als 70 Teilnehmenden des Fachtags, der gemeinsam von der Polizeiinspektion Heidekreis, der Sozialraumarbeit Walsrode, den Schulsozialarbeitenden der weiterführenden Schulen Walsrode und dem Bildungskoordinator Frank Seuberth vom Landkreis Heidekreis organisiert wurde. Er unterstrich, dass den vielfältigen Medien und dem Zugang für Jugendliche dazu eine wichtige Rolle bei dieser Thematik zukomme.
Dr. Nils Böckler vom Landeskriminalamt Niedersachsen nahm dies in seinem Einführungsimpuls zum Thema Radikalisierungsprozesse auf und erklärte, wie Extremisten vor allem über TikTok ihr Publikum erreichen. Wie genau dies funktioniert, erklärte Medienpädagogin Lara Franke, die digital zugeschaltet wurde.
Interessant dabei: Die Mehrheit der Anwesenden im Saal, darunter Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen und pädagogische Fachkräfte, nutzt laut durchgeführter Mentimeter-Abfrage vor Ort selbst kein TikTok, kennt sich also mit der Funktionsweise des von Jugendlichen häufig exzessiv genutzten Mediums gar nicht aus. Lara Franke zeigte anschaulich, wie TikTok die Nutzenden in den Bann zieht, dass der Algorithmus zielgerichtet arbeitet und wie leicht es sein kann, junge Menschen damit zu manipulieren.
Sie hatte aber auch viel Hilfreiches im Gepäck, wie Unterstützung geleistet werden kann. So sei es wichtig, mit Jugendlichen eben diese Themen im Unterricht anzusprechen, sich aber auch selbst mit dem Medium vertraut zu machen. Immer wieder genanntes Stichwort des Tages: Medienkompetenz, sowohl für Jung als auch für Älter. Nur so könnten auch Kinder und Jugendliche die Mechanismen erkennen und seien besser geschützt.
Alexander Schepp von beRaten e. V. aus Hannover erklärte am Nachmittag, was helfen kann, wenn junge Menschen bereits falsch abgebogen sind. Hier ging es vor allem um das Abdriften in extreme islamistische oder salafistische Radikalisierung oder die plötzliche Vollverschleierung von Mädchen. „Eine junge Frau fing plötzlich an, sich zu verschleiern. Später kam heraus, dass sie damit ihre Figur verdecken wollte. Mitschüler hatten sie deswegen gehänselt“, so Schepp.
Zum Abschluss des Fachtags gab es einen berührenden und lebensnahen Einblick, wie ein junger Mensch sich rechtsextrem radikalisiert und auch wieder herausfindet. Ein Aussteiger beschrieb seinen Weg in rechtsextreme Kreise inklusive harter Gewalt, seine Verlorenheit zwischen geschiedenen Eltern und nicht vorhandenem Halt. Dass die Ideologie erstmal unwichtig war und er sich einfach zugehörig fühlte. Doch irgendwann merkte er, dass Worte und Taten im rechten Milieu gar nicht zusammenpassen. „Ich hatte keine Ausbildung, ich hatte keine Arbeit, und bei den anderen war das ähnlich. Und trotzdem redeten sie
davon, dass wir bald die Weltherrschaft übernehmen“, sagte er. Ihm wurde klar, dass das nie passieren würde, und er suchte sich Hilfe zum Ausstieg. Heute, mit 37 Jahren, befindet er sich in der Ausbildung zum Erzieher und besucht Schulklassen und Fachtage, um zu sensibilisieren.